Michel (Neustadt)

"Kupfer ist treu"

Über den sorglosen Umgang der Kirche St. Michaelis mit der Kolonialvergangenheit

Erstellt am 08.12.2011, zuletzt geändert am 14.02.2021 | hamburg postkolonial

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In der St. Michaelis-Kirche – dem Michel und Wahrzeichen Hamburgs – befinden sich mehrere Gedenktafeln. Eine erinnert an Soldaten aus Hamburg, die in Deutschlands Kolonialkriegen starben. Verschiedene Initiativen und Einzelpersonen kritisieren seit vielen Jahren, dass diese Tafel immer noch hängt beziehungsweise dass sie unkommentiert bleibt. Sie empfinden diese Art der Gedenkkultur als aggressiv.
Übrigens: Das neue Kupferdach der Kirche hat die Aurubis AG gesponsert. Ihr Vorläufer bezog vor über 100 Jahren Otavi-Kupfer aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika und stieg auch während der Apartheid nie aus dem Geschäft aus – erst 1989, als Namibia unabhängig wurde.

“Aus Hamburg starben für Kaiser und Reich”, so beginnt der Text auf der Gedenktafel in der Kirche St. Michaelis. Aufgelistet sind dort – geordnet nach “China” und “Afrika” – die Namen von Männern, die vor über 100 Jahren antikoloniale Aufstände bekämpfen sollten: Die Matrosen Heinrich Goedecke und Heinrich Bading etwa fielen am 22. Juni 1900 bei der Erstürmung des Forts Shiku in China. Rudolf Jobst, Reiter der Schutztruppe, starb am 16. Mai 1904 in einem Ort namens Otjihaenena im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Willy Kramkau fiel im August 1905 im Gefecht bei Lugongwe im damaligen Deutsch-Ostafrika. “Ehre ihrem Andenken” endet der Text auf der Tafel. Nach Informationen des derzeitigen Hauptpastors, Alexander Röder, hatte man sie 1912 angebracht, nachdem die Kirche nach dem Brand von 1906 wiederaufgebaut und in Gegenwart des Kaisers wieder geweiht wurde.

Es ist bemerkenswert, dass es so gut wie keine Diskussion in der Gemeinde oder in der Stadt darüber gibt, was diese Tafel bedeutet und wie man mit ihr umgehen will. Sie sei peinlich für eine Stadt, die sich weltoffen gibt und unpassend für eine Kirche, die laut Eigenwerbung, die “gesellschaftliche Auseinandersetzung an- und aufnehmen” und “plural bleiben” möchte. Vor allem aber sei sie ein Affront gegen die afrikanischen und chinesischen Opfer des deutschen Kolonialismus und ihrer Nachfahren. Im Sommer 2011 hat das Eine Welt Netzwerk Hamburg den Hauptpastor aufgefordert, endlich eine Debatte in der Gemeinde über den Umgang mit dieser Tafel zu führen. Geschehen ist, soweit bekannt, nichts. Im Sommer 2012 schieb Pastor Roeder, dass er sich nun für eine Veranstaltung stark machen wolle, die sich mit den Militärtafeln in St. Michaelis für Soldaten, die in den Kriegen der letzten beiden Jahrhunderte getötet worden sind, beschäftigt.

Röder hatte zwar dem Eine Welt Netzwerk Hamburg im Sommer 2011 geantwortet, dass man sich “völlig einig” darüber sei, dass die Verbrechen, die in der Kolonialgeschichte an Menschen verübt worden seien, in keiner Weise gerechtfertigt werden könnten und aus heutiger Sicht verurteilt werden müssten. Gleichwohl schrieb er:

“Die Menschen, die auf den Tafeln in St. Michaelis namentlich genannt sind, verdienen ebenso eine (kritische) Würdigung wie die Opfer der Kriege und Kolonialpolitik, deren Rechte Sie einklagen. Es sind Menschen, um die Familien damals hier in Hamburg getrauert haben, weil sie im Verlauf dieser Kriege gestorben sind, und schon darum ist die Nennung ihrer Namen kein Affront gegen die Opfer in China und Afrika oder ihre Nachfahren.”

Wer wird gewürdigt?

Leider übersieht der Hauptpastor, dass die Täter keine Opfer sind, weil sie in weit entfernten Regionen, die man unterwerfen und ausbeuten wollte, einem Vernichtungskrieg führten. Vor allem aber unterschlägt er die Tatsache, dass die Opfer und Nachfahren in St. Michaelis bis zum heutigen Tag weder erwähnt noch gewürdigt werden.

Die Nachfahren von Opfern und Überlebenden haben – bis heute – mit der unabgeschlossenen Vergangenheit zu tun. Sie kämpfen um Entschuldigung, Entschädigung und um die Rückgabe von Geraubtem, wie etwa die Gebeine der Verwandten, die bis heute in deutschen Museen liegen.1

Johanna Kahatjipara gehörte im Herbst 2011 zu einer Delegation aus Namibia, die zwanzig geraubte Gebeine abholte, die die Berliner Charité nach über 100 Jahren zurückgab. In einem Interview sagte sie:

“It is painful thoughts to know that my ancestors were treated in the most undignified manner, that they were so traumatised and scared and yet they were also brave to have brought us up. I sometimes ask myself how does it feel to be thirsty without water? How does it feel to die from poisoned water? What kind of poison was it? So many questions run through my mind but there are no replies.”

Kahatjipara ist Mitglied im Technical Committee for the Ovaherero Traditional Chiefs on the Ovaherero/Ovambanderu Council for Dialogue on the 1904 Genocide (OCD-1904). Im Interview berichtet sie weiter:

“My family is connected to the Skullls in that my grandmother’s uncle was also hanged and beheaded. My grandmother Auguste Kavetjurura-Kahatjipara was also confined to a concentration camp and made to wear a medal pass around her neck like a dog together with her first born half German daughter, my aunt Metha Kavetjurura.”2

“Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen”, so der Kommandeur der kaiserlich deutschen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika Lothar von Trotha 1904.
Dieser Vernichtungskrieg der Deutschen kostete schätzungsweise 80 Prozent der Herero das Leben. Bis heute fordern die Nachfahren der Überlebenden Reparationen und Entschädigungen von der Bundesrepublik Deutschland und deutschen Unternehmen wie etwa der Deutschen Bank. Ende 2011 wurden endlich die Gebeine aus der Berliner Charité von Opfern des Völkermordes und der Konzentrationslager, die die deutschen Truppen in Deutsch-Südwestafrika unterhielten, zurückgegeben. Sie waren zu “Forschungszwecken” nach Berlin gebracht worden. Zuvor hatten Gefangene die Schädel ihrer Angehörigen mit Glasscherben reinigen müssen.

Die Firma Aurubis und das Kupfer

Am Michel hängt übrigens ein nicht zu übersehendes Schild der Firma Aurubis , die so großzügig die Kosten für die Sanierung des Kupferdachs übernommen hat. Die Aktiengesellschaft zählt zu den größten Kupferproduzenten weltweit. Unter dem Namen firmiert das Unternehmen zwar erst seit 2009, doch seine Geschichte ragt weit in die deutsche Kolonialzeit hinein: Die Situation der Herero verschärfte sich, als 1900 die “Otavi-Minen-und Eisenbahn-Gesellschaft” gegründet wurde.3
An diesem deutsch-britischen Konsortium waren auch Kaufleute und Banken aus Hamburg beteiligt, etwa die Norddeutsche Bank. In der Region Otavi waren Kupfervorkommen entdeckt worden, die abgebaut und per Zug zum Hafen – mitten durch das Herero-Gebiet – transportiert werden sollten. Land beiderseits der Bahnlinie sowie die Wasserrechte sollten unentgeltlich abgetreten werden.
Männer, Frauen und Kinder mussten die Strecke in Zwangsarbeit bauen. Auf ihr wurde später Kupfererz transportiert – Hauptabnehmerin war die Norddeutsche Affinerie. Auch während der Apartheid behielt sie ihre Beteiligung an der Otavi Minen AG und verkaufte sie erst 1989, als Namibia nach über 100 Jahren unabhängig wurde. Seit 2008 und der Übernahme des Kupferproduzenten Cumerio durch die Norddeutsche Affinerie AG firmiert das Unternehmen unter dem Namen Aurubis AG.

Der Slogan “Kupfer ist treu” mit dem Hamburger Stadtwappen sei also “nicht nur eine leere Worthülse”, heißt es auf der Webseite der Kirche St. Michaelis und spielt damit auf die mehrmalige Unterstützung in Kupferfragen an.4
Diese großherzige Unterstützung wie auch das Motto “Kupfer ist treu” bekommen angesichts der Geschichte dieser Firma und des Umgangs der Kirche mit der Kolonialvergangenheit, gelinde gesagt, einen schalen Beigeschmack.

“Pardon wird nicht gegeben”

Andere Soldaten, die auf der Gedenktafel im Michel erwähnt sind, starben im Krieg der deutschen Kolonialtruppen gegen die Menschen aus dem heutigen Tanzania und aus China, die sich gegen Kolonisierung und Vertreibung wehrten:
“Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Nie wieder soll es ein Chinese wagen, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen”, so die Worte Kaiser Wilhelms II. in seiner “Hunnenrede”, als sich im Sommer 1900 seine Marinetruppen von Hamburg und Wilhelmshaven nach China aufmachten. Seit 1898 sah Deutschland die Kiatschou-Bucht mit Tsingtau als ihr Reich an. Gegen das kolonial-imperiale Vorgehen, vor allem gegen die christliche Missionierung, rebellierte die “Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie” und später auch die chinesische Zentralregierung. Deutsche Soldaten in den alliierten Truppen verübten in Strafexpeditionen Massaker an der chinesischen Zivilbevölkerung, sie vergewaltigten und plünderten.

Der Maji-Maji-Krieg

Der Krieg im Süden “Deutsch-Ostafrikas”, dem heutigen Tanzania, war eine der größten Erhebungen gegen die Kolonialisten und ihre afrikanisch-arabischen Verbündeten und sollte mehr als zwei Jahre dauern. Vor über 100 Jahren, am 20. Juli 1905 rissen mehrere Frauen und Männer die verhassten Baumwollsträucher aus der Erde. Diese unscheinbare Tat bedeutete eine Kriegserklärung an die deutschen Kolonialherren. Es folgten weitere Attacken auf kleinere Städte entlang der Handelsroute im Hinterland der Küstenstadt Kilwa, auf Plantagenbesitzer und Missionarsstationen. Das deutsche Kolonialregime antwortete mit einer Terror-Politik der “verbrannten Erde” gegen die Bevölkerung: Ernten wurden vernichtet oder beschlagnahmt, Frauen vergewaltigt, so genannte Rädelsführer aufgehängt und ganze Dörfer niedergebrannt. Der Zaubertrank Maji-Maji, nach dem der Krieg später benannt wurde, half den Kämpfern nicht. Der Heiler Kinjikitile hatte zuvor eine Nachricht verbreitet, wonach die Medizin maji, das in Swahili Wasser bedeutet, die Kugeln der Feinde wie Regentropfen von den Kriegern abperlen lassen würde.

Der tansanische Historiker Gilbert Gwassa schätzt, dass zwischen 250.000 und 300.000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, ums Leben gekommen sind.5 Im Gegensatz dazu seien nur 15 weiße Europäer gestorben. In den Jahren vor dem Krieg war es unter dem Gouverneur Gustav Adolf Graf von Goetzen zu neuen oder verschärften Verordnungen und Steuern gekommen: Zwangsarbeit auf Baumwoll- und Sisalplantagen, Kopfsteuer, in Ketten gelegte Feldarbeiterinnen, Schläge mit der Nilpferdpeitsche und dem Bambusstock, Steuer auf selbstgebrautes Bier, Landenteignung und eine Jagd- und Wildschutzverordnung, die viele traditionelle Jagdgewohnheiten der Ostafrikaner verbot. Auch der Schulzwang für Kinder, den Missionare durchzusetzen versuchten, zog den Zorn vieler Einheimischer auf sich.

1 http://www.ewnw.de/sites/default/files/2011-09-28_pm_versoehnung-braucht-entschaedigung.pdf
abgerufen am 24.11.2011

2 http://www.africavenir.org/news-archive/newsdetails/browse/1/datum/2011/09/23/interview-with-johanna-kahatjipara-on-the-occasion-the-repatriation-of-the-mortal-remains-of-herero.html?tx_ttnews[backPid]=12&cHash=8013ebd733a5205e5397487d643cfc34
abgerufen am 24.11.2011

3 S.64ff in Heiko Möhle: Pardon wird nicht gegeben: Aufständische Afrikaner und hanseatische Kriegsgewinnler. In: Heiko Möhle (Hg.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – Eine Spurensuche in Hamburg, Verlag Assoziation A Berlin/Hamburg, 1999.

4 http://www.st-michaelis.de/index.php?id=662
abgerufen am 9.2.2012

5 Felicitas Becker und Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905–1907. Ch. Links Verlag, Berlin 2005

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Karte: hamburg postkolonial
Autor_in Anke Schwarzer
Veröffentlicht 08.12.2011
Zuletzt bearbeitet: 14.02.2021
Global Link (Geografischer Bezug): Namibia, Tanzania, China (Global Links Karte zeigen)
Adresse: Michel, Englische Planke 1 , Neustadt, 20459 Hamburg-Mitte, Hamburg
Koordinaten (Lat/Lon) 53.54848/9.978590

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