St. Pauli-Kirche (Altona-Altstadt)

»Wir möchten, dass man uns hier leben lässt«

Mit der Initiative »Lampedusa in Hamburg« kämpfen Flüchtlinge aus Libyen für ihr Bleiberecht.

Erstellt am 03.09.2013, zuletzt geändert am 12.12.2013 | hamburg multidimensional

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6000 Kriegsflüchtlinge aus Libyen sind nach Angaben der Initiative „Lampedusa in Hamburg“ über Italien nach Deutschland gekommen. Jahrelang hatten die Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Westafrika in Libyen gelebt – bis zur Rebellion und dem Nato-Krieg vor zwei Jahren. Rund 300 von ihnen schlafen auf Hamburgs Straßen, einige sind mittlerweile in Kirchen, Moscheen und bei Privatpersonen untergekommen. Mit Ausstellungen, Demonstrationen und anderen Aktionen fordern sie vom Hamburger Senat ihre Anerkennung als Kriegsflüchtlinge. Andreas A.* (Name geändert) ist ein Aktivist der Gruppe »Lampedusa in Hamburg«. Der Sprecher von rund 80 Männern, die seit Anfang Juni in der St.-Pauli-Kirche untergekommen sind, erzählt seine Geschichte:

»Ich komme gerade vom Joggen und bin etwas verschwitzt. Fast jeden Morgen laufen ein paar Leute von uns mit dem Pastor vier Kilometer den Hafen entlang. Seit Anfang Juni übernachten wir – etwa achtzig Männer aus Nigeria, Mali, Togo, Niger, dem Sudan, der Elfenbeinküste – hier in der St.-Pauli-Kirche in Hamburg. Ich habe lange auf der Straße gelebt, viel Schlimmes gesehen und erlebt, und jetzt habe ich endlich ein Dach über dem Kopf.

Ich bin im Norden Ghanas aufgewachsen. Als Jugendlicher bin ich 2005geflohen, denn es gab dort schwerwiegende Konflikte und viele Leute verloren ihr Leben. Die Lage ist hart, und deshalb möchte ich auch nicht den Namen meines Volkes oder gar meinen Familiennamen nennen! Ich bin mit dem Auto durch die Sahara nach Libyen gefahren. In Tripolis habe ich ein gutes Leben gehabt. Dort konntest du es schaffen und nach zwei Jahren eine professionelle Arbeit bekommen.

Ich hatte eine Wohnung und Verträge auf Baustellen. Ja, es gibt dort
zwar auch Rassismus, aber den gibt es hier in Europa auch. Wenn man sich an die Gesetze hielt, nicht stahl, keinen Alkohol trank, nichts mit Drogen zu tun hatte und keine arabische Frau zur Freundin hatte, gab es nichts zu befürchten. Alles war gut bis zum 17. Februar 2011 – da begann die Gewalt auf den Straßen. Leute wurden erschossen, alle waren bewaffnet. Es war sehr gefährlich, für alle, für Libyer und für Migranten. Letztere wurden von Gaddafis Leuten beschuldigt, auf Seiten der Rebellen zu stehen, und die Aufständischen wiederum behaupteten, die Migranten seien Söldner in Gaddafis Armee. Später regnete es auch noch Bomben. Viele Gebiete waren zerstört, viele Leute starben. Ich wurde Zeuge, wie die Nato den zentralen Busbahnhof bombardierte. Reisende lagen tot neben ihren Koffern und Taschen.

Meine alte Mutter weiß nichts über meine Situation. Aber auch die
anderen nicht. Ich habe alles verloren, meine Kontakte und Telefonnummern. Soldaten haben mich am 20. Juni 2011 festgenommen und mir alles genommen, mein Geld, mein Mobiltelefon. Sie sagten, dass ich das Land verlassen müsse, und brachten mich zum Hafen.

Zusammen mit 1250 Männern, Frauen, Schwangeren und Kindern wurden wir in ein Schiff mit drei Decks verfrachtet. Ich dachte, das ist das Ende, wir werden alle sterben. Drei Tage lang fuhren wir. Es gab nichts. Aber selbst wenn du etwas zu essen und trinken gehabt hättest – es hätte nichts genutzt. Ich war nicht bei mir. Die Wellen waren riesig. Viele Passagiere kollabierten und mussten bei unserer Ankunft in Lampedusa ins Krankenhaus gebracht werden. Glücklicherweise haben alle überlebt. Ich war so glücklich, dass ich nicht gestorben bin.

In Italien lebte ich fast zwei Jahre in Mailand. Das Leben war schrecklich. Wir mussten zu viert in einem winzigen Zimmer wohnen, es gab jeden Tag Nudeln, und in den zwei Jahren habe ich lediglich ein T-Shirt und eine Sporthose bekommen. Mitten im Winter wollten sie uns auf die Straße setzen, weil Italien kein Geld mehr von der Europäischen Union bekam. Die vierzig Leute aus meiner Notunterkunft protestierten, aber die Polizei kam und sagte, sie würde uns festnehmen, wenn wir nicht gingen. Sie hat uns nicht geschlagen, aber die Polizisten drückten und schoben uns raus. Wir konnten nicht bleiben, und nach und nach sah man die anderen Männer am Bahnhof. Dort schliefen sie.

Ich sah auf eine Karte und entschied, nach Deutschland zu fahren. Nachts kam ich am Hamburger Hauptbahnhof an. Ich sah einen Schwarzen und fragte ihn, ob er hier Leute aus Ghana kenne, aber er verneinte. Im Winternotprogramm für Obdachlose konnte ich unterkommen, aber im Frühjahr wurde es geschlossen, obwohl es kalt war und regnete.

Mittlerweile habe ich viele Flüchtlinge aus Libyen hier in Hamburg
getroffen. Wir schliefen unter Brücken, in Parks und vor Ladeneingängen. Die Polizei schickte uns immer wieder von unseren Schlafplätzen weg. Wir hatten den Eindruck, niemand sollte mitbekommen, dass wir da sind. Wir diskutierten viel und organisierten uns. Über 300 Leute sind hier, die eine ähnliche Geschichte haben. Wir wollten zeigen, dass wir menschliche Wesen sind. Wir nennen uns »Lampedusa in Hamburg«, demonstrieren und haben ein Protest-Zelt am Hauptbahnhof aufgestellt. Wir haben nicht den Nato-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben – das ist einer unserer Slogans.

Wir sind Kriegsflüchtlinge und möchten, dass man das anerkennt. Wir
haben nicht vor, Hamburg zu zerstören! Wir wollen dem Land helfen und
möchten, dass man uns hier leben lässt. Wir wollen endlich zur Ruhe
kommen. Viele möchten arbeiten, Deutsch lernen, andere wollen zur Schule oder eine Ausbildung machen, manche von uns sind erst zwanzig Jahre alt. Die Hamburger Behörden wollen uns loswerden. Nun werden wir sehen, wie sie entscheiden werden.«

Stand der Dinge in Hamburg

6000 Kriegsflüchtlinge aus Libyen sind nach Angaben der Initiative „Lampedusa in Hamburg“ über Italien nach Deutschland gekommen. Jahrelang hatten die Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Westafrika in Libyen gelebt – bis zur Rebellion und dem Nato-Krieg vor zwei Jahren. Rund 300 von ihnen schlafen auf Hamburgs Straßen, einige sind mittlerweile in Kirchen, Moscheen und bei Privatpersonen untergekommen. Mit Ausstellungen, Demonstrationen und anderen Aktionen fordern sie vom Hamburger Senat ihre Anerkennung als Kriegsflüchtlinge. Die Innenbehörde betont, dass es im Rechtsstaat keine Pauschallösung, sondern nur Einzelprüfungen geben könne. Derzeit würde man darüber informelle Gespräche mit der Evangelischen Nordkirche führen. Der Rechtsstatus der Flüchtlinge sei nicht ganz klar, aber es sei davon auszugehen, dass die drei Monate gültigen Touristenvisa für den Schengenraum mittlerweile abgelaufen seien und die Männer zurück nach Italien müssten, so die Innenbehörde. In Italien, wo sich rund 60 000 Flüchtlinge aus Libyen aufhalten, haben sie einen befristeten Aufenthalt aus humanitären Gründen.

Anfang Juni waren Verhandlungen zwischen der Nordkirche, der Innen- und der Sozialbehörde gescheitert, da eine Unterbringung in einer Turnhalle nur mit vorheriger Registrierung und erkennungsdienstlicher Behandlung erlaubt worden wäre. „Die Kirche und die Diakonie beteiligen sich nicht an einem Abschiebelager“, sagte damals die Landespastorin Annegrethe Stoltenberg der taz. „Humanitäre Hilfe ist bedingungslos“, so Constanze Funck, Koordinatorin der Nordkirche für das Projekt der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“.

Eine Abschiebung nach Italien lehnt sie ab, da die Unterbringung dort menschenunwürdig sei. Sie verweist auf zahlreiche Verwaltungsgerichtsurteile, in denen Abschiebungen nach dem Dublin-II-Verfahren nach Italien wegen unmenschlicher Lebensverhältnisse für rechtswidrig erklärt worden sind. Der Hamburger Senat habe als Bundesland die Möglichkeit, den Männern ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu geben. Sie seien zum Spielball einer verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik geworden. In ähnlicher Lage seien bundesweit noch viele andere Flüchtlinge aus Italien. Dass sie in Hamburg Unterstützung und Aufmerksamkeit erhalten, hätten sie ihrer Selbstorganisierung zu verdanken, sagt Funck.

Die Innenbehörde betont, dass es im Rechtsstaat keine Pauschallösung, sondern nur Einzelprüfungen geben könne. Derzeit würde man darüber informelle Gespräche mit der Evangelischen Nordkirche führen. Der Rechtsstatus der Flüchtlinge sei nicht ganz klar, aber es sei davon auszugehen, dass die drei Monate gültigen Touristenvisa für den Schengenraum mittlerweile abgelaufen seien und die Männer zurück nach Italien müssten, so die Innenbehörde. In Italien, wo sich rund 60 000 Flüchtlinge aus Libyen aufhalten, haben sie einen befristeten Aufenthalt aus humanitären Gründen.

Noch scheint die Zukunft der in Hamburg gestrandeten Flüchtlinge völlig offen. „Niemand wird eingefangen und in den Zug nach Italien gesetzt“, betonte ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde. Es werde keine kollektive Rückführung geben – aber auch keine kollektive Anerkennung, wie es die Gruppe selbst fordert.

Der Senat beharrt darauf, dass ihm die Hände gebunden seien. Eine Anerkennung nach dem Paragrafen 23, bei dem oberste Landesbehörden aus humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen können, sei nur im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium zu erzielen.

Positive Signale aus Berlin gebe es aber nicht. Das ist richtig. Mitte Juli hatte die Bundesegierung mitgeteilt, sie sehe keinen Anlass, den Männern ein humanitäres Aufenthalt zu gewähren, weil sie zuvor bereits in Italien Schutz gefunden hätten. Im Einzelfall könnten aber humanitäre Gründe greifen. Das Aufenthaltsgesetz sehe dafür verschiedene Möglichkeiten vor. Allerdings: Es ist nicht bekannt, dass sich Hamburg beim Bundesinnenminister oder in der Öffentlichkeit für diese Anerkennung nach dem Paragrafen 23 besonders stark gemacht hätte. Zudem hatte das Bundesinnenministerium auch betont: „Die Letztentscheidung über den Umgang mit den Flüchtlingen lag und liegt jedoch bei den betroffenen Ländern.“

Gewerkschaftliche Unterstützung

Im Juli sind zahlreiche Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ Mitglied der Gewerkschaft ver.di geworden. Sie haben in Libyen als Ingenieure, Journalisten, Automechaniker, Bauarbeiter oder Friseure gearbeitet. Peter Bremme, Ver.di-Fachbereichsleiter für Besondere Dienstleistungen, hieß die Flüchtlinge willkommen. „Wir unterstützen ausdrücklich die Forderungen der Geflüchteten aus Libyen auf Wohnung, freien Zugang zum Arbeitsmarkt, freien Zugang zu Bildung, freien Zugang zu medizinischer und sozialer Versorgung und freier Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der Europäischen Union.“ Die Politik könne den Weg frei machen und durch Aktivierung des Paragrafen 23 des Aufenthaltsgesetzes den Flüchtlingen einen legalen Aufenthalt in Hamburg ermöglichen, so Bremme.

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»Wir möchten, dass man uns hier leben lässt«

Mit der Initiative »Lampedusa in Hamburg« kämpfen Flüchtlinge aus Libyen für ihr Bleiberecht.
Karte: hamburg multidimensional
Autor_in Anke Schwarzer
Zuletzt bearbeitet: 12.12.2013
Weitere Informationen http://lampedusa-in-hamburg.tk/
Global Link (Geografischer Bezug): Libyen; Ghana; Italien; Nigeria; Mali; Togo; Niger; Sudan; Elfenbeinküste (Global Links Karte zeigen)
Adresse: St. Pauli-Kirche, Pinnasberg 80, Altona-Altstadt, 20359 Hamburg
Koordinaten (Lat/Lon) 53.54637/9.955823

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