Straße Hohe Liedt (Langenhorn)

Mehmet Kaymakcı

Am 24. Juli 1985 haben Nazis Mehmet Kaymakcı auf offener Straße erschlagen

Erstellt am 03.01.2013, zuletzt geändert am 27.11.2015 | hamburg multidimensional

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Gaston Kirsche. Sommer 2015 (Tatort an der Straße Hohe Liedt)

Als der Maurer Mehmet Kaymakcı auf dem Rückweg von der Arbeit noch in die Kneipe „Bei Ronnie“ ging, konnte er nicht ahnen, auf wen er dort treffen würde: die drei Naziskins Frank-Uwe P., Mario B. und Bernd M., alle drei zur Tatzeit um die 20 Jahre alt. Laut Polizeibericht stritten sie sich mit Mehmet Kaymakcı über Politik.

Als Mehmet Kaymakcı nachts die Kneipe verließ, folgten sie ihm bis in die Straße Hohe Liedt. Dort fielen sie über ihn her, schlugen und traten auf ihn ein, auch als er schon am Boden lag. Bis zur Bewusstlosigkeit. Anschließend schleiften sie ihn hinter ein Gebüsch am Rand des Kiwittsmoorparks. Dort zertrümmerte Frank-Uwe P. dem bereits bewusstlosen Mehmet Kaymakcı mit einem zentnerschweren Betonstück den Schädel.

Dabei machten sie so einen Lärm, dass in der Nachbarschaft Schlafende geweckt wurden. Die sahen, wie die drei Skinheads den Steinblock über den Rasen rollten und riefen die Polizei. Eine Streifenwagenbesatzung konnten einen der vermeintlichen “Ruhestörer” fassen: Frank-Uwe P. Nach einer Ermahnung und der Personalienfeststellung durfte er gehen.

„Wir wollten den Türken fertigmachen.“

Nachdem am Morgen ein Radfahrer die Leiche von Mehmet Kaymakcı gefunden hatte, nahm die Polizei Frank-Uwe P. fest. An seinen Schuhen klebte noch das Blut seines Opfers. In Verhören gestand er: „Ja, wir waren es“. Gemeinsam mit Mario B. und Bernd M. habe er Mehmet Kaymakcı umgebracht: „Wir wollten den Türken fertigmachen.“ Mehmet Kaymakcı wurde nur 29 Jahre alt. Der rassistische Mord an ihm wurde als zwar brutale, aber Wirtshausschlägerei eingestuft. Die Täter seien „drei arbeitslose Jugendliche“, hieß es in einem kurzen Artikel im Hamburger Abendblatt.

Dabei waren in der Woche zuvor in Hamburgs U-und S-Bahnzügen massenweise Aufkleber mit dem Aufdruck „Türken raus!“ verklebt worden. Die gelben Aufkleber waren zweisprachig: „Türkler disariya“ sollte die AdressatInnen wohl noch mehr ängstigen. Verantwortlich für die bereits länger zuvor gedruckten Aufkleber zeichnete eine „Bürgerinitiative Deutsche Arbeiterpartei“ mit Postfach in Duisburg. Eine Vorläufergruppe der Neo-Nazi-Organisation FAP, die mit der in Hamburg aktiven Kadergruppe „Aktionsfront nationaler Sozialisten“ um Michael Kühnen zusammenarbeitete.
Nachdem am 21. Dezember am S-Bahnhof Landwehr Ramazan Avci von einer Horde Naziskins gejagt und totgeschlagen worden war, regte sich unter MigrantInnen aus der Türkei massiver Protest gegen die rassistischen Angriffe. Beim Mord an Ramazan Avci war das Vorgehen der Täter ähnlich wie beim Mord an Mehmet Kaymakcı: Die Brutalität der Täter zielte darauf ab, den Opfern die Köpfe einzuschlagen, sie zu vernichten, ihr Leben auszulöschen.

Gegenwehr von MigrantInnen

Kein Wunder, dass sich jugendliche MigrantInnen in Selbstverteidigungsgruppen, in Street Gangs zusammenschlossen. Auf der Straße wurden sie angegriffen, auf der Straße wollten sie sich verteidigen. Aus den antirassistischen Protesten ging auch das „Bündnis türkischer Einwanderer“ hervor. Im März 1986 veröffentlichte dieses Bündnis sein Selbstverständnis, in dem es heißt: „Wir werden der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit und den rassistischen Angriffen gemeinsam und vereint mit allen demokratischen Mitteln entgegentreten. Wir wollen in Hamburg und überall in der Bundesrepublik Deutschland in Würde, Lebenssicherheit, Frieden, Freundschaft und Solidarität mit der deutschen Bevölkerung leben“.

Im März 1986 begann auch vor der Großen Strafkammer 17 des Hamburger Landgerichts der Prozess gegen die drei Täter, die Mehmet Kaymakcı erschlagen hatten. Die Hamburger Staatsanwaltschaft Hamburg klagte die drei Täter, der „Körperverletzung mit Todesfolge“ und wegen „Mordversuchs“ an. Staatsanwalt Reich fasste am ersten Prozesstag noch einmal das Tatgeschehen zusammen und betonte, dass Mehmet Kaymakcı sicher auch an den Schlägen und Tritten gestorben wäre. Laut Gerichtsmedizin habe das bereits im Koma liegende Opfer aber noch schwach geröchelt und deswegen sei ihm mit dem Betonblock der Schädel zertrümmert worden. Die Angeklagten traten im Prozess mit Durchschnittsfrisuren und unauffällig gekleidet auf. „Die Angeklagten hörten sich die Ausführungen des Staatsanwaltes ungerührt an“ schrieb der Prozessbeobachter Thomas Janssen in der taz hamburg. Aber so akribisch der Staatsanwalt Reich den Tathergang beschrieb, so sehr klammerte er die politischen Hintergründe aus. Auch der Vorsitzende Richter Reimers ignorierte die Verbindung der Angeklagten zu Naziskingruppen.

Nachdem Frank-Uwe P. am 30. September 1984 wegen einer Verletzung den Dienst beim Bundesgenzschutz quittieren musste, kam er in der Fußballszene – der HSV war damals bereits bekannt dafür, dass Neonazis unter seinen Fans Anhänger warben – in Kontakt mit Neonazis. Und freundete sich mit Siegfried Borchert an, Spitzname „SS-Siggi“, damals ein Funktionär der Neonazipartei FAP. Aber das kam beim Prozess nur am Rande zur Sprache. Frank-Uwe P. war wohl recht einsilbig wenn er von den „national eingestellten HSV-Anhängern“ sprach: „Man kannte sich halt.“

Aktenkundig ist aber eine Verurteilung Frank-Uwe P.s vom Herbst 1984 wegen Körperverletzung und Rufen von Naziparolen. Vor dem Stadion hat er „Sieg Heil!“ gerufen. Polizisten, die das unterbinden wollten, hatte er beschimpft: Sie seien „Judensäue“. Vor Gericht beklagt er sich über die Untersuchungshaft: „Auch hier werden die Deutschen von den Ausländern unterdrückt. Die halten viel mehr zusammen und mit mir wollen sie wegen der Tat nichts zu tun haben“. Alle drei Angeklagten saßen bis zum Prozess in Untersuchungshaft, auch die beiden anderen Angeklagten sehen sich selbst vor Gericht als Opfer. Bernd M. erklärte etwa, er habe Angst vor türkischen Jugendgangs. Die Aussage Frank-Uwe P.s in seiner ersten Aussage „Wir wollten den Türken fertigmachen“ spielt im Prozess keine Rolle.

Tatort ohne Erinnerung oder Mahnmal

Während der Prozess läuft, gibt es weitere rassistische Angriffe. Etwa am Ostermontag 1986, als laut Meldung der taz ein Imbissbudenbesitzer einen 17-Jährigen im ansonsten menschenleeren Nettlenburger Einkaufszentrum warnt: „ Pass auf, die Skins sind unterwegs“. Der Jugendliche entkam kurz darauf knapp dem Versuch, ihn mit einem Auto umzufahren.

Die Strafkammer des Hamburger Landgerichts unter Richter Reimers verurteilte Im Prozess wegen der Tötung Mehmet Kaymakcıs zwei der Täter zu acht und einen zu sieben Jahren Haft. Von einem gemeinschaftlich begangenen heimtückischen rassistischen Mord war im Urteil nicht die Rede. Sonst hätten die Strafen auch höher ausfallen müssen. In Langenhorn, in der Straße Hohe Liedt am Kiwittsmoorpark erinnert nichts daran, dass hier am 24. Juli 1985 Mehmet Kaymakcı von Nazis erschlagen wurde.

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Mehmet Kaymakcı

Am 24. Juli 1985 haben Nazis Mehmet Kaymakcı auf offener Straße erschlagen
Karte: hamburg multidimensional
Autor_in Gaston Kirsche
Zuletzt bearbeitet: 27.11.2015
Global Link (Geografischer Bezug): Türkei (Global Links Karte zeigen)
Adresse: Straße Hohe Liedt, Hohe Liedt 23A, Langenhorn, 22417 Hamburg
Koordinaten (Lat/Lon) 53.67004/10.02348

Kommentare

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Dieser Artikel vom 3.1.2013 war, wie der Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Nord in seiner Rede bei der Einweihung einer Gedenkskulptur im Sommer 2021 mitteilte, für ihn die erste Information gewesen, als er neben den Organisator*innen auch dem Autor für den ersten Erinnerungsartikel gedankt hat. Er habe uns mit seinen Artikeln über die Ermordung Mehmet Kaymakcıs immer wieder diese Tat in Erinnerung gerufen. "Ohne dessen Berichte würde es heute nicht diesen Gedenkstein geben". Mehr Informationen zur Einweihung des Gedenkortes: https://www.hamburg-global.de/v1.0/placemarks/122

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