Petersenkai (HafenCity)

Das Hamburger "Tor nach Afrika"

130 Jahre (post-)koloniale Geschichte im Baakenhafen

Erstellt am 29.12.2020, zuletzt geändert am 15.01.2021 | hamburg postkolonial

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Jan Kawlath, 2017

Der Baakenhafen ist ein weniger bekannter Ort der (post-)kolonialen Geschichte Hamburgs, an dem sich die letzten 130 Jahre dieser Geschichte nachvollziehen und heutige Auswirkungen beobachten lassen. In diesem Zeitraum spielte im Baakenhafen der Handel mit Kolonialwaren sowie der Export von Wirtschaftsgütern in (ehemalige) Kolonialgebiete eine zentrale Rolle. Es starteten aber auch tausende von deutschen weißen Kolonialsoldaten hier in ihre Einsätze, um deutsche Kolonial- und Handelsinteressen weltweit mit Gewalt durchzusetzen und abzusichern. Heute ist er Teil des prestigeträchtigen HafenCity Städtebauprojekts, in dem Straßen, Gebäude und Plätze ungebrochen und -kommentiert nach vermeintlichen „europäischen Entdeckern“ benannt werden.1

Koloniale Handelssysteme

Die Entstehung des Baakenhafens ist eng an die Entwicklungen der globalen Handelssysteme im 19. Jahrhundert gebunden, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts direkt vom Kolonialismus geprägt waren.2 In den 1860er Jahren wurde ein Hafenkonzept entwickelt, welches Hamburg in Verbindung mit dem Bau der Speicherstadt zu einem der modernsten und schnellsten Häfen der Welt machte.3 Der Baakenhafen war Teil dieses neuen Konzepts und eröffnete 1887. Am nördlichen Ufer, dem Versmannkai, wurden hauptsächlich sogenannte „Südfrüchte“ (wie Orangen, Zitronen etc.), Sultaninen oder auch Mandeln umgeschlagen, die aus den unterschiedlichsten globalen Anbauregionen importiert wurden. Das südliche Kaiufer, der Petersenkai, war an verschiedene Reedereien vermietet, die Schifffahrtslinien in fast alle Weltregionen betrieben. Von 1893 bis 1903 hatte die Hamburg-Amerika Linie (HAL) das Kaiufer gemietet,4 die regelmäßig über den Atlantik nach Nord- und Lateinamerika, sowie nach Ostasien und Australien fuhren. Ab 1904 waren die Woermann-Linie (WL), die Deutsche Ostafrika-Linien (DOAL) und die Deutsche Levante-Linien (DLL) vor Ort, die Schiffsverbindungen ins Mittelmeer und Rund um den afrikanischen Kontinent unterhielten.

Mit WL und DOAL begann im Baakenhafen der Seehandel mit afrikanischen Ländern, der bis 1999 anhielt, als das Hafenbecken für das HafenCity-Projekt als Kaianlage aufgegeben wurde.5 Die WL und DOAL gingen Anfang der 1940er Jahre in der Reederei „Deutsche Afrika Linien“ (DAL) auf, die bis heute in Hamburg ansässig ist, und bis Mitte der 1980er Jahre dort den „Afrika-Terminal“ betrieb. Mit den Schiffen der DAL wurde über den Terminal ein Großteil des Handels der BRD mit den Apartheidsstaaten Südafrika und Namibia abgewickelt,6 was die Kontinuität in den kolonial geprägten Handelsbeziehungen aufzeigt. 1985 übernahm die BUSS-Gruppe den Liegeplatz und betrieb dort bis zum Schluss weiter Handel mit westafrikanischen Ländern: Kakao aus Ghana wurde importiert und nahezu schrottreife Autos aus Deutschland exportiert.7 Mittlerweile sind diese Handelsgeschäfte in die Hafengebiete auf der anderen Elbseite verlagert.

Truppentransporte von weißen Kolonialsoldaten

Zwischen August 1900 und Mai 1907 haben im Baakenhafen mindestens 86 Truppen- und Materialtransporte stattgefunden. Dabei machten die Transporte im Kontext des Kolonialkriegs im heutigen Namibia den Hauptteil aus: 73 Truppen- und Materialtransporte mit insgesamt 23.145 Militärangehörigen und 11.065 Pferden sind zwischen Januar 1904 und Mai 1907 am Petersenkai angekommen oder abgefahren. Damit sind über 90% der Soldaten für den Kolonialkrieg im heutigen Namibia vom Petersenkai gestartet und ca. 40% sind dort auch wieder zurückgekehrt, wobei die Zahlen hierfür noch unvollständig sind.8 Während des Kolonialkriegs in China und der folgenden Besatzungszeit sind zwischen August 1900 und November 1903 insgesamt zehn Transporte über den Baakenhafen abgefertigt worden. Anfang 1906 kamen zwei Rücktransporte der Marineinfanterie aus dem Kolonialkrieg in Deutsch Ost-Afrika (DOA) am Petersenkai an und im Dezember 1902 ging ein Transport mit ca. 125 Marinesoldaten für eine Seeblockade vor der Küste Venezuelas vom Petersenkai ab.

Der Baakenhafen und im Besonderen das südliche Ufer – der Petersenkai – sind zentrale Orte für die Rolle Hamburgs im Kolonialkrieg und beim Genozid an den Ovaherero und Nama. Die Kolonialsoldaten, die in Hamburg bei ihrer Abfahrt und Ankunft gefeiert wurden, waren an Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen beteiligt und für diese verantwortlich. Lothar von Trotha ist vom Petersenkai in den Kolonialkrieg gereist und nachdem er den Genozid befohlen hat hier auch wieder angekommen und mit einer Feier begrüßt worden.9 Gerade die Truppenabfahrten zu Beginn des Krieges haben in Hamburg eine große öffentliche Aufmerksamkeit bekommen und es wurden publikumswirksame Abschiedsfeiern inszeniert, die in heutiger Sprache „Events“ waren. Bei allen Transporten im Kontext des Kolonialkriegs im heutigen Namibia waren offizielle Vertreter:innen des Hamburger Senats anwesend und die Soldaten haben bei ihrer Abfahrt und der Ankunft „Liebesgaben“ (kleine Geschenke wie Postkarten und Zigarren) vom Hamburger Senat erhalten. Es wurden sogar extra Zigarrentaschen mit dem Hamburger Wappen besorgt, um den Soldaten ein besonderes Andenken an ihre Zeit in Hamburg zu überreichen.


Foto: Jan Kawlath 2019

Schluss

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Hamburg eine etablierte öffentliche Festkultur, mit der koloniale Truppentransporte begleitet wurden und die als politische Bühne für verschiedene Akteur:innen diente. Der Hamburger Senat und verschiedene Hamburger Reedereien haben sich hier als zentrale Akteure in der Kolonialpolitik und der kolonialen Weltwirtschaft präsentiert, während das Militär die eigene Rolle für die Umsetzung dieser Ziele demonstrierte. Die Mehrheit der Transporte hat viel Aufmerksamkeit von Seiten der Politik, Presse und der Stadtbewohner:innen erfahren. Damit sind sie ein Beispiel für das große öffentliche Interesse innerhalb Hamburgs, welches während der aktiven Kolonialpolitik des Kaiserreichs an kolonialen Themen gezeigt werden konnte. Über die Inszenierungen der Truppentransporte war die Kolonialpolitik Deutschlands und die dafür notwendigen Kolonialkriege in der Hamburger Öffentlichkeit präsent und die Bewohner:innen der Stadt haben aktiv daran Teil genommen.


Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, siehe unten

Der Baakenhafen als ein (post-)kolonialer Erinnerungsort hat somit drei zentrale Ebenen: Zunächst eine ökonomische und infrastrukturelle Ebene, als ein globales Reise- und Logistikzentrum für Menschen, Tiere und Güter, welches in das koloniale Handelssystem eingebettet war. Zweitens als ein Ort, an dem Vorstellungen von Deutschland als Kolonialmacht und der Herrschaftsanspruch über andere Menschen inszeniert und legitimiert wurde. Zu diesen beiden historischen Ebenen tritt die aktuelle Praxis Straßen und Plätzen in der HafenCity unkritisch nach europäischen Kolonisatoren zu benennen, wie der Bau des „Amerigo-Vespucci-Platz“ am östlichen Ende des Baakenhafens exemplarisch deutlich macht.

Literaturverzeichnis

Lars Amenda: „Tor zur Welt“. Die Hafenstadt Hamburg in Vorstellungen und Selbstdarstellung 1890–1970, in: ders./Grünen, Sonja [Hrsg.]: „Tor zur Welt“. Hamburg-Bilder und Hamburg-Werbung im 20.Jahrhundert. Dölling & Galitz, Hamburg/München 2008, S. 8–101.

Jan Kawlath : Der Hamburger Hafen und der deutsche Kolonialkrieg in Namibia. Die Inszenierung kolonialer Gewalt im Baakenhafen 1904–1907. Allitera Verlag, München 2019.

Gert Kähler und Sandra Schürmann: Spuren der Geschichte. Hamburg, sein Hafen und die Hafencity, in: HafenCity Hamburg GmbH [Hrsg.]: Arbeitshefte zur Hafencity. Hamburg 2010.

Arnold Kludas: Die Geschichte der Hapag-Schiffe. Band 1: 1847–1900. Hauschild Verlag, Bremen 2007.

Tania Mancheno: All change, please! Über die Un-/Möglichkeiten der Dekolonialisierung des öffentlichen Raumes in Hamburg, in: ZAG. Antirassistische Zeitschrift, Ausgabe 70, Berlin 2015, S. 25–27.

Heiko Möhle: „Gute Geschäfte mit Rassisten. Was Hamburgs Afrika-Wirtschaft alten Beziehungen verdankt“, in: ders. (Hrsg.), Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika. Eine Spurensuche. Assoziation A, Hamburg/Berlin 2011, S. 151–157.

1 Mancheno 2015, S. 27.

2 Amenda 2008, hier besonders S. 10f.

3 Kähler/Schürmann 2010, S. 35f.

4 Kludas 2007, S. 107.

5 Kähler/Schürmann 2010, S. 58.

6 Möhle 2011, hier besonders S. 154.

7 Möhle 2011, S. 157.

8 Kawlath 2019, S. 110–111.

9 Kawlath 2019, S. 74–77.

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Das Hamburger "Tor nach Afrika"

130 Jahre (post-)koloniale Geschichte im Baakenhafen
Karte: hamburg postkolonial
Autor_in Jan Kawlath
Zuletzt bearbeitet: 15.01.2021
Global Link (Geografischer Bezug): Namibia; Venezuela; Ghana (Global Links Karte zeigen)
Adresse: Petersenkai, Baakenallee, HafenCity, 20457 
Koordinaten (Lat/Lon) 53.53835718/10.01075195
Kommentar

Foto 1: Ehemaliger Kakaospeicher Schuppen 29 im Baakenhafen.
Foto 2: Foto von drei Exemplaren der „Cigarrentaschen“; Quelle: Staatsarchiv Hamburg 111-1_47069.
Foto 3: Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1024832953, letzter Zugriff: 29.12.2020 (CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licences/by-sa/4.0/deed.de])

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